...Jacob Joussen
- Sie sind jetzt (wenn ich richtig gezählt habe) fünf Jahre als Düsseldorfer Gemeindeglied, Presbyter, Jurist und Fachmann für kirchliches Arbeitsrecht Mitglied des Rates der EKD. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht und welche Erkenntnisse gewonnen?
Im Jahre 2015 bin ich in den Rat gewählt worden, das stimmt. Für mich war das eine sehr unerwartete Wahl, da ich weder Mitglied der Landes- noch der EKD-Synode war. Ich war den Synodal/innen unbekannt, und mir war die EKD weitgehend unvertraut. Ich habe viel gelernt in diesen fünf Jahren. Die Funktion der EKD ist mir viel klarer geworden, vor allem auch im Verhältnis zu den Landeskirchen, die sie bilden. Während in der Außenwahrnehmung häufig auf die EKD geschaut wird, sind innerkirchlich die Landeskirchen diejenigen, die gestalterisch tätig sind. Ich weiß aber auch, wie wichtig es ist, dass auch eine gemeinsame evangelische Stimme in Deutschland hörbar ist, etwa zu wichtigen theologischen und ethischen Fragen.
- Als im Juni 2020 die "Elf Sätze für eine aufgeschlossene Kirche" erschienen sind, wurde damit eine heftige Diskussion entfacht. Wie haben Sie das erlebt und welche Meinung hatten Sie sich damals dazu gebildet?
Ich war zu Beginn Mitglied des sogenannten „Z-Teams“, das diese Sätze entwickelt hat, bin aber aus verschiedenen Gründen nach ca. einem Jahr ausgeschieden. Über die heftige Diskussion war ich nicht überrascht. Denn mir war klar, dass bei genauer Lektüre viel Sprengstoff enthalten war. Nur ein Beispiel: Es war in der Ursprungsfassung zu wenig von der Gemeinde die Rede. Da ich selber mein Wurzeln in meiner Lutherkirche habe und dort immer noch aktiv bin, als stellvertretender Vorsitzender des Presbyteriums, hatte ich schnell den Eindruck, dass das zu wenig bedacht wurde, wie wichtig diese Ebene ist – bei allem Wert etwa der Digitalisierung. Aber da ist ja dann zum Glück nachgearbeitet worden!
- Eine prominente Kritikerin der "Elf Sätze" ist Ihre Kollegin an der Bochumer Uni, Isolde Karle, Professorin für Praktische Theologie. Hatten Sie mal Gelegenheit, mit ihr darüber zu sprechen?
Ja, das hatte ich. Ich arbeite viel mit ihr zusammen, da ich zudem kooptiertes Mitglied der Evangelisch-theologischen Fakultät der Ruhr-Uni bin, haben wir sogar strukturelle Verbindungen. Wir verstehen uns sehr gut – anders wäre es vermutlich auch nicht möglich gewesen, im „Zeitzeichen“ (Heft 6/2020) gemeinsam den Beitrag zum assistierten Suizid zu veröffentlichen, in dem wir anmahnen, dass die Diskussion offener geführt werden muss, als es viele kirchenamtliche Verlautbarungen nahelegen.
- Kurz vor der EKD-Synode sind aus den elf Leitsätzen zwölf geworden, und man spürt ihnen an, dass die kritischen Stimmen sehr genau wahrgenommen worden sind. Die Sprache hat sich verändert und wurde mit theologischer Reflexion verbunden. Aber das Anliegen ist gleich geblieben, oder hat sich auch da was geändert?
Nein, das Anliegen ist gleich geblieben. Es ging von Anfang an um die Frage, wie kann die evangelische Kirche, wie können alle evangelischen Kirchen in Deutschland auf die drängenden Fragen reagieren, wie muss sie sich entwickeln, um ihnen gerecht zu werden: den Herausforderungen durch die Veränderung und Verkleinerung der Mitgliedzahlen, durch die Digitalisierung, durch den bevorstehenden massiven Einbruch der Finanzen. Das waren von Anfang eine der Leitfragen, die den Rat, die Kirchenkonferenz und die Synode angetrieben haben.
- Finden sie den "Zentralismus"-Vorwurf, den wir auch im Pfarrverein gerne an die EKD richten, angemessen oder haben Sie eine da andere Sicht der Dinge?
Nein, ich halte nichts von derartigen Zuschreibungen und Vorhaltungen. Sie werden aus meiner Sicht der Sache nicht gerecht. Ich verstehe, was dahinter steht. Aber es geht nicht um Zentralismus oder Hierarchisierung. Sondern allein darum, wie der Protestantismus sich so entwickeln kann, dass er nicht ins Abseits gerät. Dafür braucht es das Zusammenspiel der Gemeinden, der Landeskirchen und auch der EKD. Von Zentralismus ist übrigens die EKD schon de facto weit entfernt: Sie hat ja keine Machtmittel, sie hat auch keine Finanzen, die ihr nicht durch die Landeskirchen zugewendet werden. Aber sie kann mit ihren Stellungnahmen durchdringen – das ist ein Wert, den man nicht unterschätzen sollte.
- Wir waren uns ja z. B. im Blick auf den Düsseldorfer "Synodalen Prozess" nicht immer einig. Wenn Sie auf die Rheinische Kirche als Ganze blicken: Befindet sie sich auf einem guten Weg? Was würden sie dem oder der neuen Präses mit auf den Weg geben, wenn Sie ihm oder ihr zur Wahl gratulieren?
In der Tat gab es erhebliche Differenzen zwischen uns, gerade im Hinblick auf die Frage, wie wir uns den drängenden Herausforderungen stellen können. Wir haben hier unterschiedliche Wege präferiert. Ich sehe aber, dass wir insgesamt als Rheinische Kirche, gerade auch hier in Düsseldorf, beginnen zu verstehen, was auf uns zukommt, wenn die Pandemie überwunden ist. Der Mantel der Volkskirche, finanziell wie von den Mitgliedern her, passt heute nicht mehr so, wie noch vor zehn Jahren. Wir müssen uns darauf einstellen – durch Neuausrichtungen, finanzielle Einschränkungen, Trennung von Liebgewordenen (auch von Gebäuden). Aber das Entscheidende ist: Das darf nicht geschehen, ohne die Menschen mitzunehmen. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, dass wir Kirche sind und bleiben. Als Gemeinschaft der Glaubenden. Insofern wünsche ich mir, dass der/die neue Präses ein/e Menschenfischer/in im besten Sinne ist. Die von Herzen die Menschen begeistern kann und sie sich als Kirche fühlen lässt.
Prof. Dr. Jacob Joussen ist Presbyter in Düsseldorf (Luther-Kirchengemeinde) und seit 2015 Mitglied des Rates der EKD. Seit 2010 lehrt er Jura an der Ruhruniversität Bochum mit Schwerpunkt weltliches und kirchliches Arbeitsrecht und Sozialrecht. (Die Fragen stellte Stephan Sticherling.)