Rechenschaftsbericht des Vorsitzenden

Als ich daran gehe, den diesjährigen Bericht für die heutige Mitgliederversammlung zu schreiben, erreicht mich per email die Einladung des Ev. Erwachsenenbildungswerkes Rheinland-Süd: „Gottesdienst feiern ohne Pfarrer*in. Studien- und Praxistag für Ehrenamtliche“. Dazu heißt es: „Gut zwar, dass man ausgebildete Leute dafür hat, einen Bibeltext für den Gottesdienst auszuwählen und auszulegen, ein Lied anzustimmen und zu begleiten, ein gemeinsames Psalmgebet anzuleiten oder selbst öffentlich zu beten. Aber notfalls geht es auch mit Bordmitteln: Da sind Mitglieder des Presbyteriums auf den Fall der Fälle vorbereitet. Da liegen Texte bereit. Oder da gibt es einen Gottesdienstkreis, der für Gottesdienste, die sonst ausfallen würden, Verantwortung übernimmt.“

PfarrerSternchenPfarrerin, so in der gendergerechten Schreibweise in dieser Einladung, werden offensichtlich zur Mangelware in einer Kirche, die in ihren Verlautbarungen immer wieder das Ziel ausruft, „zukunftsfähig“ werden zu wollen.

So wird Anfang Oktober die Berufung des neuen Leiters der Finanzabteilung im Kirchenamt der EKD von der Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer, mit folgenden Worten begrüßt: „Für die Veränderungen, die unsere kleiner werdende Kirche in den nächsten Jahren einleiten muss, ist die Expertise aus seiner beruflichen Erfahrung und seine exzellente Kenntnis der evangelischen Kirche von großem Wert.“ Der neue Mann, Carsten Simmer, ist Diplom-Mathematiker und arbeitet bis zu der Übernahme seines neuen Amtes noch bei der Unternehmensberatung McKinsey. Seine „exzellente Kenntnis der evangelischen Kirche“ verdankt er wohl seinem ehrenamtlichen Engagement als Mitglied der EKD-Synode.

2017 hatte ich Gelegenheit, an einer EKD-Synode in Bonn teilzunehmen. Ich bin noch heute geschockt von der Sprache, die da gesprochen wurde. IDEA-Spektrum veröffentlichte dazu den „halbautomatischen kirchlichen Phrasengenerator“, drei Spalten mit jeweils zehn Begriffen, die man beliebig kombinieren kann. Spalte 3 enthält die Begriffe -kompetenz, -positionierung, -reflexion, -perspektive, -orientierung, -analyse, -initiative, -aktivität, -modell und -kooperation. Die kann man nun verbinden mit Begriffen aus Spalte 2: Dialog-, Relevanz-, Projekt-, Kommunikations-, Prozess-, Diskurs-, Profilierungs-, Impuls-, Struktur- und Reform …  Fehlt nur noch ein Adjektiv, dazu gibt’s in Spalte 1 die Wahlmöglichkeit: innovativ, global, ökumenisch, digital, konzeptionell, organisatorisch, institutionell, kirchenleitend, interreligiös, ekklesiologisch. Alle genannten Begriffe wurden auf der EKD-Synode verwendet. Herauskommt, um einmal zwei Beispiele zu nennen, in der Kombination 486 „Konzeptionelle Strukturinitiative“ oder in der Kombination 771 „Kirchenleitende Impulspositionierung“ … Karsten Huhn von IDEA schreibt dazu: „Der Phrasengenerator geht auf eine 1968 veröffentlichte Idee des Beamten im US-Gesundheitsdienst, Philip Broughton, zurück. Er schrieb: ‚Es wird zwar keiner auch nur im Entferntesten wissen, wovon Sie reden, aber keiner wird wagen, es zuzugeben. Und das ist entscheidend.‘“

Das Schlimme ist: was „von oben“ in dieser Kirche kommt, leider gewiss nicht immer vom Heiligen Geist inspiriert, sondern von sogenannten „Unternehmensberatungen“, entfaltet erhebliche Wirkung, leider gewiss nicht immer zum Aufbau der Gemeinde Jesu Christi. So erging es uns schon 2006 mit der EKD-Schrift „Kirche der Freiheit“. Die darin erstellten Prognosen haben sich als falsch erwiesen. Und dieses Bild von den „Leuchttürmen“ ist so dominant geworden, dass weitere Zentralisierung von Kirche erfolgt ist auf Kosten der Gemeinden je und je vor Ort. „Leuchttürme“ sind nur wahrlich keine Versammlungsorte und als Orientierungseinrichtungen sind sie in Zeiten von GPS längst überholt. Das falsche Bild offenbart hier also nur das falsche Denken. Die Folgen sind verheerend.

Was haben all die „Papiere“ in den letzten Jahren und Jahrzehnten gebracht? Die ganzen „Struktur- und Reformprozesse“? Die „Pfarrbild“-Diskussionen?

Wahrhaftig: „Darum fahren alle unsere Tage dahin durch deinen Zorn, wir bringen unsre Jahre zu wie ein Geschwätz“, heißt es in Psalm 90, Vers 9.

Und die EKD-Präses Schwätzer setzt weiter auf Expertise vonseiten Unternehmensberatung. Dabei tut Theologie und noch einmal Theologie not. Wir brauchen keine Fortsetzung von Struktur- und Reformprozessen, sondern wir brauchen - nach einem halben Jahrtausend nach der Reformation - heute wieder eine Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern. Vor allem am Haupt von Kirchenleitung.

Exemplarisch nehme ich einmal die Entwicklung unseres Kirchenkreises Simmern-Trarbach. Wahrscheinlich machten Sie, liebe Brüder und Schwestern, in den letzten Jahren ähnliche Erfahrungen. Eingeschaltet wurde für unsere Diskussionen über die Entwicklung unserer Kirche eine Unternehmensberatung.

Der mandatierte Diplom-Kaufmann, so sagte er uns, arbeitete auch für die Landeskirche. In seinem Konzeptionsvorschlag findet man bezeichnenderweise keine einzige Bibelstelle. Wohl aber ein Zitat von Giuseppe Tomasi di Lampedusa (1896-1957): „Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern“ und als Anhang beigefügt ist ein Märchen „Wie der König sein Königreich rettete“, in dem ein Hofnarr zum Retter wird. Das Märchen schließt: „Denn ein Hofnarr lässt sich durch Hindernisse und Widerstand, die ihm auf seinem Wege widerfahren, nicht von seinem Fortschreiten abhalten. Er weiß, dass er diesen, seinen Weg gehen will – und so weiß er auch, dass er diesen Weg zu gehen in der Lage ist. Und genau diese Gewissheit ist es, die ihn dazu befähigt!“ (Andreas Glodde, arf „Gesellschaft für Organisationsentwicklung mbH“)

Wir haben es offensichtlich mit Hofnarren zu tun, die in nichts von ihrer Gewissheit, die richtigen Wege zu beschreiten, abzubringen sind.

Zwei weitere Zitate solcher Art von Unternehmensberatung will ich Ihnen nicht vorenthalten: „Wer nicht den Mut hat, auf seine eigene Art närrisch zu sein, hat ihn schwerlich, auf seine eigene Art klug zu sein.“ (Jean Paul, Bermerkungen über uns närrische Menschen) – na bitte, so haben wir doch heute, am 11.11., an dem unsere Mitgliederversammlung stattfindet, den Bezug zum närrischen Treiben!

Und das zweite Zitat: „Im Leben gibt es keine Lösungen … Es gibt nur Kräfte, die in Bewegung sind. Man muss sie erzeugen, und die Lösungen werden folgen.“ (Antoine de Saint-Exupéry).

Das also ist der Geist, mit dem aufgefordert wird, die von der Unternehmensberatung in langwierigen „Prozessen“ in vielen Arbeitsgruppen, Sitzungen und Konferenzen erstellte Konzeption „umzusetzen“ (auch so ein beliebtes Wort der Technokraten).

Unserem Kirchenkreis wurde am Ende des mehrjährigen Diskussionsprozesses so ein „Proponendum“ beschert, das auf der Herbstsynode 2017 mit überwältigender Mehrheit bei nur zwei Gegenstimmen angenommen wurde und nun Schritt für Schritt seit zwei Jahren „umgesetzt“ wird. In vier sogenannten „Kooperationsräumen“ wurden Regionale Dienstgemeinschaften eingerichtet, die Zahl der Pfarrstellen wird weiter reduziert, Gemeindepädagogik wird dagegen ausgeweitet – und natürlich: die Qualität der Verwaltung wird „gesichert“, was einhergeht mit der Einrichtung weiterer Stellen für diese Arbeit und erheblichen Kostensteigerungen. Während sich die Zahl der Gemeindepfarrstellen in unserem Kirchenkreis in den letzten Jahrzehnten halbiert hat, hat sich die Zahl der Verwaltungsstellen mehr als verdoppelt. Und die Verwaltung entwickelt mehr und mehr eine Eigendynamik und bestimmt, wie der Weg der Kirche auszusehen hat. So heißt das Motto: Doppik muss sein, Gottesdienst kann sein … Pfarrstellenabbau wird systematisch betrieben, da gibt es Pläne mit Zahlenvorgaben. Von einem Abbau von Verwaltungsstellen ist nirgends die Rede, da könnte man ja auch fordern, einfach Arbeiten aufzugeben. Aber es gilt wohl: Datenschutz muss sein, Hausbesuch kann sein. Der Pfarrdienst, so scheint es mir, wird in ein Prokrustesbett gezwungen.

Wir Pfarrerinnen und Pfarrer wehren uns zu wenig dagegen.

Bezüglich des Gottesdienstes hat sich im Laufe der Jahre ein Umdenken vollzogen, welches auch Ausdruck in der Kirchenordnung gefunden hat. In der älteren Fassung hieß es noch: „Die Kirchengemeinde hat dafür zu sorgen, dass sich die Gemeinde so oft wie möglich, besonders aber an jedem Sonn- und Feiertag, zum Gottesdienst versammelt“ Art. 15 (1), in der Neufassung ab 2004 wird „der vornehmste Dienst jeder Kirchengemeinde“, „der Dienst am Worte Gottes“ nicht nur im Gottesdienst gesehen, sondern es heißt: „Er entfaltet sich im Gottesdienst und in der Feier der Sakramente und in den Kreisen und Gruppen der Gemeinde, den kirchlichen Werken, bei den Amtshandlungen und anderen Diensten der Gemeinde sowie in der Begegnung mit anderen Kirchen, Glaubensgemeinschaften, Religionen und gesellschaftlichen Gruppierungen“, Art. 70 (2).

Gerade auf dem Land wird es immer schwieriger, das Gottesdienstangebot weiterhin so zu erhalten, dass überall in den noch vorhandenen, übrigens wunderschönen und je und je einzigartigen Dorfkirchen, Gottesdienste regelmäßig gefeiert werden können. Wenn ich in Ruhestand gehe, ist diese Pfarrstelle in Zukunft für die Versorgung von acht Dorfkirchen zuständig, als ich vor 30 Jahren hier anfing, waren es zwei. Im Kooperationsraum will man die neue Situation durch einen gemeinsamen Gottesdienstplan bewältigen, der natürlich einhergehen wird mit weiterer Streichung von sonntäglichen Gottesdiensten.

In Nordrhein-Westfalen höre ich, stehen 30 % der 6.000 evangelischen und katholischen Kirchengebäude zur Disposition, in der absoluten Zahl ausgedrückt: 1.800 Kirchen, die wie es heißt, in Zukunft für Gottesdienste nicht mehr gebraucht würden. Andere Nutzungsmöglichkeiten werden gesucht.

Frau Professorin i.R. Gisela Kittel, schreibt mir, dass der liturgische Ausschuss der EKD seine „wissenschaftliche“ Expertise herausgegeben habe mit der Aufforderung, auch über den Weiterbestand des sonntäglichen Gottesdienstes ganz frei, in „christlicher Freiheit“, so Thies Gundlach, nachzudenken. Gisela Kittel schreibt: „Auch hier müsste eigentlich aus der Theologie ein Aufschrei erfolgen. Was wäre wohl los, wenn jüdische Synagogenvorstände den Sabbatgottesdienst oder Imame das Freitagsgebet abschaffen wollten?“. Gisela Kittel hat Recht.

Und meine Ausführungen hier sind ein (bescheidener) Aufschrei: seid Ihr denn des Wahnsinns, den sonntäglichen Gottesdienst so zu beschneiden, ihn aus dem Leben der Gemeinde herauszunehmen?

Anfang des Jahres war ich mit meiner Frau auf einer Orient-Reise. In Dubai erzählte uns der Reiseführer, dass selbst in dieser modernen Großstadt alle 500 Meter eine Moschee oder ein Gebetsraum ist, um jedem Gläubigen die Ausübung der Religion ortsnah zu ermöglichen.

Der Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes und „EKD-Cheftheologe“, wie er immer wieder genannt wird, Thies Gundlach, sagte gegenüber dem Deutschlandfunk (Köln), man solle den Pfarrern nicht ‚aufs Auge drücken: Ihr müsst unbedingt jeden Sonntag Gottesdienst machen, egal ob jemand kommt, egal wer das wichtig findet.“ Das sei eine Ideologie, die er nicht teilen könne. Widerspruch bekam er von Professorin Dorothea Wendebourg, unserer letztjährigen Referentin beim Rheinischen Pfarrerinnen- und Pfarrertag, für die der Sonntagsgottesdienst von zentraler Bedeutung bleibt. Das regelmäßige Zusammenkommen um Wort, Sakrament und Gebet: „Der Laden fällt auseinander, wenn wir das nicht mehr tun“, so Dorothea Wendebourg.“ (zitiert nach: newsletter von IDEA-Spektrum vom 1.11.2019)

Die Frage, wer hier theologisch und wer ideologisch argumentiert, ist m.E. ganz klar zu beantworten: der so apostrophierte EKD-Chef-Theologe ist der Chef-Ideologe …

Warum zerschlagen wir – ohne Not, denn es ist wahrhaftig kein finanzielles Problem – die noch in der Fläche vorhandenen Strukturen? Eine Anmerkung zu den Finanzen – ich beziehe mich hier auf einen Kommentar von Pfarrer Hans-Jürgen Volk von Kirchenbunt: auf der „Sparsynode“ der Ev. Kirche im Rheinland ging man 2013 davon aus, dass in den folgenden Jahren die Kirchensteuereinnahmen erheblich zurückgehen würden, sie lagen damals bei 570 Millionen Euro. Aktuell sind es 750 Millionen. Ja, es handelt sich hier um keinen Zahlendreher: 750 Millionen.

 „Gottesdienste“, schreibt Gisela Kittel in ihrem Aufsatz „Die Anrufung des Namens Gottes inmitten einer gottvergessenen Welt“ (vgl. „Info-Brief Nr. 28/2019, S. …) „sind Zeugnis dafür, dass auch ein Land oder eine Gesellschaft, die den Namen Gottes schon fast vergessen hat, dennoch in seiner Reichweite geblieben ist und bleibt. Selbst da, wo es nur noch zwei oder drei sind, die zum gemeinsamen Gebet, zu Lob, Anbetung, Lesung der Schrift und Fürbitte zusammenkommen, tun sie kund, dass auch dieses Dorf oder jener Stadtteil zu Gott gehören und dass auch über diesen Orten der Name Gottes steht. ‚Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen‘, heißt es im 24. Psalm. Es scheint hohe Zeit zu sein, von hier aus über die Bedeutung des Gottesdienstes aufs Neue nachzudenken und ihm seine zentrale Stellung im Leben unserer christlichen Gemeinden zurück zu geben.“

Von daher, liebe Schwestern und Brüder, ist jede Initiative zu begrüßen, wie gerade auch das Seminarangebot der Evangelischen Erwachsenenbildung, von dem ich eingangs sprach, Gottesdienste zu erhalten, um das geistliche Leben zu pflegen. Jeder Gottesdienst, der gestrichen wird, ist einer zu viel. Das Heil liegt nicht in weiterer Zentralisierung, was nebenbei – in Zeiten von Greta sei es angemerkt – umweltbelastende Mobilität generiert. Dezentralisierung muss das Motto sein, die liebevolle und gewissenhafte Pflege der kleinen Einheiten, der so oft kritisierten „Kleinteiligkeit“!

Und die im Hinblick auf die Gewinnung von Nachwuchs vielbeschworene „Attraktivität“ des Pfarrberufes wird wieder steigen, wenn die Einheiten wieder überschaubarer werden. Das schließt Zusammenarbeit im Team in der Region nicht aus, sondern ein, möchte ich ausdrücklich betonen.

Und wir brauchen wahrhaftig keine neuen „Pfarrbild-Diskussionen und -prozesse“. Wem immer noch nicht klar ist, was eine Pfarrerin oder ein Pfarrer zu tun und zu lassen hat, dem ist kaum zu helfen. Der allseits beklagte Werteverlust in unserer Gesellschaft hängt auch damit zusammen, dass die Kirche nur mit sich selbst beschäftigt ist, statt konzentriert ihren Verkündigungsauftrag wahrzunehmen, Gottes Zuspruch und Anspruch auf unser ganzes Leben (Barmer Theologische Erklärung, These 2) deutlich zu machen und damit christliche Werte zu vermitteln, und eben, wie das die Kirchenmitgliedschaftsbefragungen über die Jahre immer wieder als die Erwartung an Kirche bestätigen: Menschen seelsorglich, mit viel Aufmerksamkeit, Zeit und Empathie, vor allem an den Knoten- und Krisenpunkten ihres Lebens zu begleiten.

Mir fiel dieser Tage noch mal das Manuskript eines Vortrages in die Hände, den ich vor genau 20 Jahren, am 6.11.1999 im Predigtanalyse-Oberseminar von Prof. Dr. Rudolf Bohren in Heidelberg hielt. Damals wurde das „Pfarrbild 2000“ in unserer Rheinischen Kirche diskutiert. Es wurden Kataloge der Anforderungen für die Berufsgestaltung erstellt, Eignungsvoraussetzungen und Qualifikationen für Pfarrerinnen und Pfarrer definiert. Doch das Ganze atmete nicht den Geist des Neuen Testamentes, statt von Nachfolge Jesu Christi und Verkündigungsauftrag zu sprechen, wurden „Überapostel“ beschrieben, vor denen schon Paulus warnte (2. Korinther 10 – 12).

Im Hinblick auf die Rede vom Pfarrbild zitierte ich damals Max Frisch, der bezüglich der Bildnisproblematik einmal in sein Tagebuch notierte: „Du sollst dir kein Bildnis machen. Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. Wir wissen, dass jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und dass auch den Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles sieht er wie zum ersten Male. Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis … “  (Max Frisch: Tagebuch 1946 – 1949, Frankfurt am Main 1973, 31).

Eine wunderbare Passage im Werk des Schriftstellers Max Frisch. Und ich erlaube mir einmal in der Fortsetzung dieses Zitates das Wort „Mensch“ durch „Pfarrer“ und „Pfarrerin“ zu ersetzen:

„ … so wie das All, wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit, schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll, unfaßbar ist der Pfarrer/die Pfarrerin, den oder die man liebt – nur die Liebe erträgt ihn/ erträgt sie so“ (ebd., 31)

Im Anschluss an Max Frisch wäre also die Aufhebung aller Pfarrbilder und die Beendigung der Pfarrbildprozesse zu fordern! Wenn jetzt der Vorwurf der Schwärmerei kommt, so begegne ich dem mit dem Hinweis, dass ich unermüdlich weiter auf den Geist des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung in unserer Kirche setze.

Gott sei Dank ist dieser Geist neben all dem Beklagenswerten in unserer Kirche auch zu finden. Und das lässt dann doch für die Zukunft hoffen.

Wunderbar war es, die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern aus ganz Europa zu erfahren bei der Konferenz Europäischer Pfarrvereine, die im Juni 2019 in Admont in Österreich stattfand. Wir tauschten uns aus, was uns Freude an diesem Beruf macht. (Sie finden den Vortrag von Bischof Dr. Michael Bünker: „Mit Freude evangelischer Pfarrer oder Pfarrerin in Europa sein“ in unserem nächsten „Info-Brief“, der im Dezember 2019 erscheinen wird.)

Sodann: ein herzliches Miteinander findet statt bei den gegenseitigen Besuchen mit den befreundeten Pfarrvereinen in Deutschland, bei den entsprechenden Pfarrtagen gibt es viele Anregungen und einen lebendigen Austausch.

Und auf Verbandsebene haben wir einen sehr fähigen und engagierten Vorsitzenden, der auch in diesem Jahr wieder einen überzeugenden Bericht auf der Mitgliederversammlung in Quedlinburg vorgelegt hat. Ich empfehle die Lektüre im Deutschen Pfarrerblatt (Heft 11/2019). Es ist nicht nur ein Bericht, sondern es werden klare Perspektiven aufgezeigt, wie Kirche wirklich eine Zukunft haben kann – mit Pfarrerinnen und Pfarrern, die sich nicht durch „Struktur- und Reformprozesse“ weiter behindern und lähmen lassen, sondern ihren Verkündigungsauftrag wahrnehmen. Ich zitiere Andreas Kahnt mit den ersten Sätzen seiner Ausführungen, die Lust auf Weiterlesen machen sollen:

„‘Freiburg for Future‘ – so könnten wir in drei Worte fassen, was manche Strategen in den evangelischen Kirchen in Deutschland derzeit umtreibt. Könnten wir, wollen wir aber nicht. Warum? Weil es zu kurz greift. Weil es alles von – nun vermeintlich notwendigen – Strategien erwartet, aber wenig von Christus, dem Herrn der Kirche. ‚Die Kirche zukunftsfähig machen‘ ist ein Widerspruch in sich. Denn die Kirche erhält ihre Zukunft allein aus dem Willen Gottes. Sie kann nicht ‚gemacht‘ werden, auch nicht ‚gestaltet‘. Sie kann aber dankbar angenommen und mit dem gefüllt werden, was ihr von Christus gegebener Auftrag ist: Mit der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat.“

Die Arbeit der Pfarrvereine wie die des Verbandsvorstandes, dem ich seit 2011 angehören darf, ist klar daraufhin ausgerichtet, dass wir als Pfarrerinnen und Pfarrer, um eine Formulierung aus der Badischen Kirche aufzunehmen, unseren Verkündigungsauftrag „geistlich getragen, fachlich gut und persönlich wohlbehalten“ erfüllen können.

Ich komme zum Schluß und fasse pointiert zusammen: Die sogenannten „Struktur- und Reformprozesse der letzten Jahre haben vor allem eins gebracht: viel Papier. Bei so manchen „Papieren“ ist es schade um die Bäume, die dafür gefällt werden mussten. Ähnlich wie in der Politik bei den seit Jahrzehnten versäumten Maßnahmen gegen den Klimawandel, wurde in unserer Kirche auch jahrzehntelang das versäumt, was wirklich nottut: in unserem Fall: eine Reformation an Haupt und Gliedern!

Die Außenwahrnehmung von Kirche drückt sich so aus, wie ich das unlängst in einem Gespräch aufschnappte, in dem ein Mann zu einem anderen sagte: „Die Kirche ist doch ein Unternehmen wie alle anderen – nur: mit angehängter Hokuspokus-Abteilung!“

Offensichtlich ist etwas fundamental schief gelaufen in den letzten Jahrzehnten, dass so ein Eindruck entstehen kann.

 

Machen wir der Welt wieder deutlich, dass es anders ist: kein Hokuspokus, sondern eine Theologie mit einem Evangelium, das die Welt verändert. Und die Kirche: kein Unternehmen wie andere, sondern eine Institution sui generis, die nicht Religion immer aufwändiger verwaltet, sondern unter minimalem Verwaltungsaufwand nur ein Ziel verfolgt: Menschen das Reich Gottes in Jesus Christus nahezubringen.